Ich habe gerade das neu erschienene Buch «Design für Leichte Sprache» gelesen und mich ein wenig auf Vorschläge für besonders gut lesbare Schriften für diese Zielgruppen gefreut. Leider werden in dem Buch keine konkreten Schriften genannt. Okay, ich verstehe ja, dass es nicht die EINE Schrift gibt, die für alle Menschen am besten lesbar ist. Aber für Nicht-Typografen wären zumindest ein paar Empfehlungen sehr hilfreich gewesen.

Gutes Design für Leichte Sprache - erschienen beim UTB, 10. Dezember 2024

Das Buch geht ausführlich auf die Kriterien für gute Lesbarkeit ein und nennt zumindest «eine» gut lesbare Schrift (die «Thesis» Schriftfamilie), die leider nicht als Open Source verfügbar ist.

Im Buch wird auch mehrfach darauf hingewiesen, dass die «Arial» alles andere als gut lesbar ist. Ich denke, das ist vielen klar, aber wer sich für die Gründe im Detail und viele weitere aktuelle Informationen aus dem Bereich der Lesbarkeitsforschung interessiert, dem sei das Buch empfohlen. Wer lieber ein paar qualifizierte Aussagen dazu online haben möchte, nachfolgend drei wirklich hilfreiche Links:

Und nun folgen ein paar Tipps für alle, die nicht erst Design oder Typografie studieren möchten, nur um eine gut lesbare Schrift für ihr Projekt zu finden.

 

Schriften für Bildschirme

Es gibt Schriften, die speziell für die Darstellung auf Bildschirmen entwickelt wurden, wie z.B. «Inter», «IBM Plex» oder «Merryweather», und solche, die sich besser für gedruckte Medien eignen, wie z.B. die «PT Serif».

Bei den bildschirmoptimierte Schriften handelt es sich in der Regel um sogenannte Sans-Serif-Schriften*¹ – obwohl die Annahme, dass sich diese Schriften besonders gut für die Bildschirmdarstellung eignen, etwas überholt ist. Aktuelle Studien zeigen, dass Serifenschriften in Lesegrössen auf dem Monitor teilweise besser lesbar sind; es kommt auf die genauen Umstände an (Farbigkeit, Vorder-/Hintergrund, Schriftschnitt, Schriftgrösse …).

 

Gut ausgebaute Schriftfamilien

Ein weiteres Qualitätskriterium bei der Auswahl kann die Sprachunterstützung sein – also wie viele Sprachen mit den vorhandenen Zeichen unterstützt werden. Dies kann vor allem für einen konsistenten internationalen Einsatz eine entscheidende Rolle spielen. Einige Schriften, wie z.B. die «Roboto» und die «Nunito», decken immerhin das lateinische, kyrillische und griechische Schriftsystem ab und beinhalten zudem viele diakritische Zeichen*³, so dass man damit in Europa und Amerika ganz gut zurechtkommt. Sobald man aber auch noch Arabisch, Hebräisch, Türkisch und die wichtigsten asiatischen Schriftsysteme mit einer einzigen Schrift abbilden möchte, wird es sehr dünn. Dann bleiben vor allem die Schriften der grossen Computer- und Betriebssystemhersteller, wie die «Arial» oder «Segoe» von Microsoft. Beide Schriften sind aber weder Open Source noch formal gute Schriften. Die «Plex» von IBM stellt da eine Ausnahme dar – sie ist Open-Source und zudem sehr gut lesbar. Formal ist sie auf jeden Fall sehr sorgfältig ausgearbeitet worden – auch wenn der sehr technisch anmutende Stil nicht jedermanns Sache ist.

Die meisten Sprachen und Zeichensysteme deckt aber derzeit die «Noto» ab. Sie ist ein Gemeinschaftsprojekt von Google und einer Reihe von Schriftenherstellern wie Adobe und Monotype. Mit über 77.000 Zeichen werden mehr als 1.000 Sprachen und über 150 Schriftsysteme unterstützt.

Die «Noto» verfügt zudem über sehr viele Schriftschnitte (= Schriftstile, wie z.B. kursive) und wirkt im Vergleich zu «IBM Plex» neutral, zurückhaltend, sachlich. Weitere Schriftfamilien mit vielen Schnitten sind die «Roboto», die «Inter» sowie die «Nunito».

Einige Schriftfamilien gibt es sowohl in einer «Sans Serif*¹» als auch als «Serif*² Version», was deren Anwendung sehr interessant macht. So ist es möglich, einen Fliesstext in der Serif und die Überschriften in der Sans Serif zu setzen (oder auch umgekehrt). Die Schriften sind in diesem Fall perfekt aufeinander abgestimmt. So entsteht ein abwechslungsreiches und doch harmonisches Schriftbild. Gut lesbare Open Source Schriften, die sowohl in einer Sans- als auch einer Serif-Version vorliegen, sind: «IBM Plex», «Merriweather», «Noto», «PT», «Roboto», «Source».

 

Inklusive Schriften

Es gibt auch einige wenige Schriften, die speziell für Menschen mit Leseschwierigkeiten oder Sehbehinderungen entwickelt wurden. Dabei wurden ästhetische Kompromisse zugunsten einer extrem hohen Erkennbarkeit der einzelnen Buchstaben gemacht. Die «Atkinson Hyperlegible» ist ein Beispiel für eine Schrift, die im Besonderem für stark sehbehinderte Menschen geeignet ist, und die «Lexend» für Menschen mit Leseschwierigkeiten.

Die «Atkinson Hyperlegible» ist eine moderne, gut lesbare Schriftart, die speziell für Menschen mit Sehbehinderungen entwickelt wurde und sich daher ideal für barrierefreies Design eignet. Sie wurde vom Braille Institute in Zusammenarbeit mit Paratype entwickelt und ist als Open-Source-Font frei verfügbar.

 

Typografische Merkmale

  • Strichstärke: Die Schrift hat eine relativ fette Strichstärke. Für Menschen mit extremer Sehbehinderung ist es wichtig, dass die Buchstabenformen nicht verschwimmen, wenn sie auf Monitoren oder auch in Büchern vom umgebenden Weiss überstrahlt werden.
  • Eindeutige Buchstabenformen: Jeder Buchstabe ist so gestaltet, dass er sich deutlich von den anderen unterscheidet, um Verwechslungen zu vermeiden. So unterscheiden sich beispielsweise das „I“, das „l“ und die „1“ deutlich voneinander. Es wurden auch spiegelbildliche Buchstabenpaare berücksichtigt, wie z.B. das p und das q, die sich im Atkinson deutlich voneinander unterscheiden.
  • X-Höhe: Eine erhöhte x-Höhe trägt zur besseren Lesbarkeit bei, insbesondere bei kleineren Schriftgrößen.
Sichtbar sind: ein grosses B, die 8 sowie die 1, das grosse I sowie das kleine i und l. Dies sind Buchstaben, die aufgrund ihrer Ähnlichkeit bei schlechten Lesebedingungen oder Fehlsichtigkeit optisch verwechselt werden können.

Der Unschärfeeffekt simuliert, wie Buchstaben für jemanden mit Sehbehinderung erscheinen können. Die «Atkinson» schlägt sich aufgrund ihrer besonderen formalen Merkmale gut.

 

Stilistische Empfehlungen

Drei Schriftmuster: Public Sans, Roboto und Source Sans.

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Mir persönlich gefällt die «Public Sans» sehr gut. Das ist die offizielle Schrift der US-Regierung. Sie ähnelt ein wenig einer Helvetica und hat etwas cooles Retro-mässiges an sich, jedoch ist sie viel lesbarer und in ihrer formalen Ästhetik zeitgemässer.

Wer eine neutrale Sans Serif sucht, die vor allem im digitalen Bereich gut lesbar ist, ist mit der «Roboto» oder der «Source Sans 3», die wirklich sehr offene Formen aufweist und sehr elegant wirkt, gut beraten. Bei der «Source Sans» steht dann auch die Serif Familie zur Ankoppelung zur Verfügung, was ihren Einsatz besonders interessant und wirkungsvoll macht.

Zum Abschluss nun in Listenform meine gesammelten Empfehlungen für gut lesbare Open-Source-Fonts. Diese Liste ist sicher nicht vollständig, aber eine gute Auswahl in Bezug auf Fremdsprachunterstützung, Zeichenvorrat und Anzahl der verfügbaren Schriftschnitte. Alle aufgeführten Schriften sind über Google Fonts kostenlos verfügbar.

Und nur am Rande: Ich weiss, wovon ich rede und schreibe. Ich habe «Visuelle Kommunikation» mit den Schwerpunkten Schriftdesign und Typografie studiert und selbst eine Reihe von Schriften (siehe hier) entwickelt. Bevor ich ins digitale Lager wechselte, habe ich mich zudem viele Jahre intensiv mit Mikro-Typografie und Lesbarkeitsforschung beschäftigt.

Jetzt, wo ich vor allem im Bereich «Inclusives Design» unterwegs bin, hat sich das Thema für mich neu geöffnet, da ich vor allem Schriften einsetzen möchte, die von Menschen mit Sehbehinderungen und kognitiven Einschränkungen gut verarbeitet werden können. Wer konkrete Fragen oder Hilfe diesbezüglich benötigt, kann mich jederzeit gerne kontaktieren.

Serif

(also Schriften mit Serifen)

  • Noto Serif
  • Source Serif 4
  • PT Serif
  • IBM Plex Serif
  • Merriweather
  • Lora
  • Cardo

Sans Serif

(d.h. Schriften ohne Serifen)

  • Noto Sans
  • Open Sans
  • Public Sans
  • Nunito Sans
  • Source Sans 3
  • PT Sans
  • Merriweather Sans
  • IBM Plex Sans
  • Fira
  • Inter
  • Lato (die Grundschrift meines Blogs, also der Fliesstext hier im Beitrag)
  • Roboto
  • Mulish
  • Atkinson Hyperlegible
  • Lexend

 

Glossar

*¹: Sans Serif Schriften sind Schriften ohne Serifen, d.h. ohne kleine Linien oder Verzierungen am Ende der Buchstaben. Das französische Wort „sans“ bedeutet „ohne“, „Sans Serif“ also „ohne Serifen“. Diese Schriften wirken modern, klar und technisch. Sie sind bekannt für ihr schnörkelloses und modernes Aussehen.

*²: Serifen-Schriften haben kleine Linien oder „Füße“ an den Buchstabenenden, die das Auge beim Lesen führen. Sie werden oft für gedruckte Texte bevorzugt, können aber auch im digitalen Bereich effektiv eingesetzt werden. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass die Schriften nicht in extrem kleinen Grössen, z.B. 9px oder kleiner, verwendet werden, da dann die Auflösung des Monitors häufig nicht ausreicht, um die Serifen gut darzustellen, sie verklumpen oder brechen weg, was zu einem uneinheitlichen und kaputten Schriftbild führt. Wer kein Schrifteinsatz in diesen sehr kleinen Grössen plant, kann Serifen-Schriften bedenkenlos auch auf Monitore einsetzen. Als Leseschriften, insbesondere auch für die Zielgruppen der «Leichten Sprache», eignen sie sich besonders in Schriftgrössen von 16px und grösser.

*³: Diakritische Zeichen sind kleine Markierungen oder Symbole, die über, unter oder in einen Buchstaben gesetzt werden, um dessen Aussprache, Betonung oder Bedeutung zu verändern. Sie sind in vielen Schriftsystemen der Welt weit verbreitet und spielen eine wichtige Rolle bei der korrekten Darstellung von Texten in verschiedenen Sprachen. Beispiele sind die Cedille (ç) im Französischen, die Tilde (ñ) im Spanischen oder der Ring (å) im Schwedischen.